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Literaturcafé
2. Dezember 2019 um 19:00 - 21:00
Im Zentrum soll einer der bedeutendsten deutschen Gegenwartsautoren,
Uwe Timm, mit seinem Roman „Vogelweide“ stehen.
Nein , man muss ihn nicht lieben, den Protagonisten Christian Eschenbach, um Uwe Timms Roman “Vogelweide” aus dem Jahr 2014 in sein Herz zu schließen. Ein sensibler, kantiger, vor allem seltsam passiver Mensch, der aber in paradoxer Weise niemals untätig erscheint, ist hier das Nadelöhr, durch das der Autor seinem Leser die Facetten heutiger Welt zeigt: Eschenbach interessiert sich für Vögel, für die in Gesellschaft lebenden Menschen einschließlich ihren Moden und Politik, für Astronomie,Meteorologie und das Reisen – und als studierter Theologe immer wieder für den Zusammenhang der Letzten Dinge; vor allem den originären Handlungsantrieb, das Begehren, möchte er begreifen und es
gelingt ihm wohl auch, indem er auf einsamer Position darauf wartet, dass seine Geliebte Anna ihn zum Abschied besucht.
“(O)b er mit dem Eschenbach aus der Dichtung verwandt sei”, möchte ein junger, politisch verfolgter Asylbewerber und Nachbar einer Sozialwohnung irgendwo im letzten Drittel des Buches wissen, als
der ehemals so erfolgreiche Software-Unternehmer sich schon längst in seiner Erzählung im Moment des letzten Falls befindet. Der Gefragte verneint bedauernd. Direkt aber hat mit dieser eingestreuten Frage Uwe Timm seinen aufmerkenden Leser hier auf die Fährte gesetzt, die zum tieferen Verständnis des Spiels mit der Hauptfigur führt, was ja schon bereits der Titel andeutete: “Vogelweide” ist als Begriff ja eigentlich nur bekannt als Nachname des mittelhochdeutschen Minnesängers
Walther. Anna benutzt ihn eher ironisch ein einziges Mal am Schluss, um die hirtenhafte Existenz ihres früheren Geliebten zu kennzeichnen.
Ja , es ist so, als ob Uwe Timm jenen Wolfram von Eschenbach, den Dichter nicht nur des Epos‘ Parzival, sondern jener “Tagelieder”, die die zerstörende Gewalt körperlichen Begehrens melancholisch besingen, aus dem Mittelalter in die jüngste Gegenwart deutscher Realität auf eine
schutzlos den Gezeiten ausgesetzte Elbinsel ausgesetzt hätte. Damit er als ‘Loser’ dort drei Monate Zeit hat, über seinen ungeheuren Fall vom Liebhaber gleich zwei schöner Frauen zum Hüter eines Vogelfutterplatzes nachzudenken: …
Mit ganz herzlichen Grüßen
Euer Jens Clausen